Dienstag, 23. Mai 2017

Alexandra Rak (Hg.): Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen (KJB 2014)

Zuerst dachte ich, ach – schon wieder ein Weltkriegsbuch. Hier geht es aber nicht um eine Geschichte, sondern mit dieser Sammlung von Erzählungen ist es gelungen, den 1. Weltkrieg aus allen denkbaren Positionen zu betrachten. Da geht es um die Geschichte zweier Soldaten, einer aus Deutschland, einer aus Frankreich, die sich im Schützengraben einander gegenüberstehen und die später ein gemeinsames Enkelkind haben werden. Was sie natürlich zum Zeitpunkt der Erzählten Geschichte noch nicht wissen. Es geht um die Seeschlacht vor Helgoland und 16jährige Marinesoldaten. Es geht um die Schilderung dieses kurzen unglaublichen Weihnachtsfriedens 1916/17 an der frz. dt. belgischen Front. Aus Prag wird erzählt, wie Kafka den Krieg erlebte als Beamter, der Spenden einwerben und verwalten musste. Eine Familie wird in dem Moemnt geschildert, als sie über den Tod eines Familienmitglies informiert wird – 3 Monate nach dem tatsächlichen Todeszeitpunkt. Parallel bricht in Israel eine Heuschreckenplage aus. Deutsche Spezialisten werden eingeflogen, die die Lage retten sollen – ein sehr bemerkenswertes Detail dieses Krieges. Und so geht es weiter mit Schilderungen aus Lothringen, aus Kurland, Österreich, Frankreich, Beldien, Russland und veilen anderen Orten. Neben den Geschichten sind Fotos und Karten abgedruckt, die neugierig auf die Menschen in den Geschichten machen und immer ein besonderes Detail der wahnsinnigen Kriegsmaschinerie zeigen. Und obwohl es nicht dieselben Protagonisten sind, ist der Leser doch immer mehr gespannt, von welcher Seite er sich mit der nächsten Geschichte dem schrecklichen Katastrophe Krieg nähern darf. Und damit ist das Buch eben ein gutes Buch über den Krieg und seine Absurdität. (UP13)

Stichwort: Erster Weltkrieg

Jürgen Seidel: Der Krieg und das Mädchen (cbj 2014)

Dem Roman merkt man an, dass ihm sehr genaue Recherchen zugrunde liegen. Er ist zudem nicht nur ein Buch  mehr über den 1. Weltkrieg, sondern er führt uns eine Gruppe von Jugendlichen vor Augen, deren Individuen sich mit 15/16/17 Jahren in einem Umbruch befinden: Was sollen sie denken? Was ist Freiheit? Wie weit soll man sich Autoritäten beugen? Muss man sich Vorurteilen beugen? Was ist Krieg? Derartige Fragen führen zur Gründung eines geheimen Clubs, die Somnambulen, die schlafwandlerisch durch die verschiedenen Denk-Angebote wandern. Die Hauptfigur, Mila, bekommt zudem zu spüren, was es heißt aus ein Migrantenfamilie zu stammen. Sie muss sich mit Treue und Verrat auseinandersetzen, mit Freundschaften, Liebe und Enttäuschungen. Ihre Freunde Fritz, Wieland und Sheena verkörpern daneben die Themen Homosexualität, Emanzipation und Opportunismus. Mila lernt, was es heißt erwachsen und auf sich selbst gestellt zu sein. Und so ist dieses Buch neben einem großen Geschichtsbuch eben auch ein präzise erzählter Adoleszensroman. Gut lesbar ab 14 Jahren. (UP13)

Stichwort: Erster Weltkrieg, Jugend, Erwachsenwerden

Lucy Maud Montgomery: Das Schloss in den Wolken (Carlsen Königskinder 2015)

Mit dieser Geschichte wird der Leser 100 Jahre zurückversetzt und zwar nach Canada. Damals erschien der Roman bereits. Und erst 2015 ist er ins Deutsche übersetzt worden. Die Übersetzung ist meiner meinung nach ziemlich gelungen. Die Denkweise der bürgerlichen Welt um 1910 wird deutlich vor Augen geführt, wie sie versucht, ihre tradierten Werte und Vorurteile zu halten und alles Neue abzuwehren. Dass sich daraus Konflikte ergeben sieht man am Leben von Valancy.

Valency ist schon 29 Jahre und noch nicht verheiratet und einen Beruf hat sie auch nicht. Sie ist unscheinbar und kränklich und wird in der Familie immer noch behandelt wie eine 15jährige. Wie ein kleiner Zufall ihr Leben komplett umkrempelt und sie Unglaubliches schafft, das erfährt man in dieser Geschichte, die fast lehrhaften Charakter hat.

Das Buch ist die perfekte anspruchsvolle Urlaubslektüre. Die ersten Seiten spiegeln das langweilige Leben Valancys wieder, ist aber in den Einzelheiten derart perfekt ausgestaltet, dass man praktisch jeden Blumentopf vor seinem inneren Auge sieht. Dann gewinnt die Geschichte an Fahrt und wird immer spannender. Der Leser ist fast schadenfroh, wenn alle die „Bösewichter“ am Ende umdenken müssen. Eine lohnende Lektüre ab 13 Jahren! (UP13)